Leutkirch – „Es hat uns damals alle sehr beschäftigt“ erzählt Stefanie Vergens vom Roten Kreuz. „Ein kleiner Bub ist gestorben und als die Rettungskräfte noch da waren, war das Haus plötzlich voller fremder Menschen und sie wussten nicht recht, wie sie sich verhalten sollten.“ Immer wieder auftretende Unsicherheiten beim Umgang mit Muslimen, auch bei Verletzten oder gebrechlichen, alten Menschen, hatte dazu geführt, den hiesigen, türkischen Imam zu einem der 14-tägig stattfindenden Dienstabende beim Ortsverein Leutkirch einzuladen. Passend zur bald beginnenden interkulturellen Woche. „Schließlich wohnen wir ja nebeneinander“, so Vergens, „und wissen so gar nichts vom anderen“.
Erdal Akdeniz, der zwar erst zwei Monate seiner fünfjährigen Leutkircher Amtsperiode hinter sich hat, war gern bereit, über Tod, Begräbnis und die muslimische Trauerkultur zu erzählen. Er und Ali Kaplan, Vorsitzender der Leutkircher Moschee, staunten am Dienstagabend dann gewaltig über die mehr als 30 anwesenden Zuhörer. Ehrenamtliche Rotkreuzler, Helfer vor Ort, aber auch Rettungssanitäter von der Rettungswache und Mitglieder vom Jugendrotkreuz waren gekommen, zeigten großes Interesse und stellten immer wieder Zwischenfragen. Ob auch die Fenster geöffnet werden, wenn jemand verstorben sei („Nein, das machen Muslime nicht“), ob man als Deutscher auch ins Haus kommen soll, um Beileid zu wünschen („Unbedingt, und gerne darf man etwas zu essen und trinken mitbringen!“) und wo Muslime hier begraben werden („Das geht nur in Ravensburg“). Vieles ist gar nicht so unterschiedlich zur hiesigen Beerdigungskultur, etwa die dreitägige Wartezeit, die Waschung oder das Beerdigen im Sarg. Manches ist aber doch fremd, nämlich das ständige Vorlesen aus dem Koran, die Ausrichtung des Grabes Richtung Mekka und das Ablegen eines Metallstücks auf der Brust des Toten, damit die Seele nicht weg kann, bis der Vorbeter (Imam) eintrifft, der die Koranverse liest. Auch Beerdigungen ohne Sarg sind bei Muslimen üblich. Die bei uns immer mehr zunehmenden Feuerbestattungen gibt es bei Muslimen allerdings gar nicht.
Dass immer mehr Muslime ihre Toten hierzulande beerdigen wollen und sie nicht ins Heimatland überführen möchten, ist ein Trend, der deutschlandweit zunimmt. Die Beziehungen zur Türkei würden schwächer, die Menschen möchten dort beerdigt sein, wo sie gelebt haben. Ende 2015 lebten mehr als vier Millionen Muslime in Deutschland. Der prozentuale Anteil an der Gesamtbevölkerung liegt damit etwas über fünf Prozent. 960 Moscheen gäbe es in Deutschland, allein 90 in Baden-Württemberg, so Kaplan. Allein in Berlin fanden im Jahr 2016 insgesamt 333 Menschen auf muslimischen Grabfeldern die letzte Ruhe. Zehn Jahre zuvor waren es noch 177 gewesen. In Leutkirch waren es in den letzten Jahren 15 Muslime, die verstorben sind, Erdal Akdeniz hat in seiner zweimonatigen Amtszeit auch schon eine Beerdigung abgehalten.
In Leutkirch selbst finden die Toten aber nicht ihre letzte Ruhe. Der nächstgelegene muslimische Friedhof ist in Ravensburg. „Derzeit gibt es Verhandlungen mit der Stadt über eine kleine Fläche auf dem Waldfriedhof“, erzählt Ali Kaplan und freut sich, dass es vielleicht bald möglich sein wird, die muslimischen Toten in Leutkirch zu begraben. Auch der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, habe die Bestattung nach islamischem Ritus bei gleichzeitiger Einhaltung der deutschen Gesetze als ein „starkes Zeichen“ dafür gewertet, dass Muslime und der Islam zu Deutschland gehörten.
Die Leutkircher Rotkreuzler wollten an diesem Dienstabend noch viel wissen, auch über die Aufgaben und Lebensweisen der Imame hierzulande. Sie erfuhren, dass sie – und somit auch Erdal Akdeniz – in Leutkirch immer über der Moschee wohnen, dass es für Wangen und Bad Wurzach eigene Imame gibt, dass die Freitagsgebete in der Ottmannshofer Straße 8 wöchentlich stattfinden, und dass für Beschneidungen und Islamuntericht für Kinder auch der Imam zuständig ist. Am Ende der Gesprächsrunde erhielten die beiden Leutkircher Muslime viel Applaus und erteilten auch gleich eine Einladung zum „Tag der offenen Moschee“ am 6. und 7. Juli. Sicher wird nach diesem Abend dort der ein oder andere Leutkircher Rotkreuzler auftauchen.
Von Christine King